Cover
Titel
Hayek. A Life, 1899–1950


Autor(en)
Caldwell, Bruce; Klausinger, Hansjörg
Erschienen
Anzahl Seiten
824 S.
Preis
€ 43,55
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arndt Christiansen, Bundeskartellamt, Bonn

Im vergangenen Jahr ist, passenderweise bei der University of Chicago Press, der erste Band der lange angekündigten Biographie von Bruce J. Caldwell und Hansjörg Klausinger über den ebenso streitbaren wie umstrittenen liberalen Ökonomen und Sozialphilosophen Friedrich August (von) Hayek erschienen. Es ist ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Werk über einen der prominentesten Verfechter klassischer liberaler Prinzipien im 20. Jahrhundert. Insgesamt gelingt es Caldwell und Klausinger, ihren Helden „Fritz“ nicht nur als Ökonomen und Sozialphilosophen, sondern auch als Menschen mit Stärken und Schwächen nahe zu bringen.

Bemerkenswert ist zunächst einmal das Erscheinen der Biographie als solches. Es korrespondiert mit dem unverändert großen Interesse an Hayek und seinem Werk auch über 30 Jahre nach seinem Tod. Zum Teil stammt dieses Interesses aus liberal gesinnten Kreisen und ist dementsprechend wohlwollend. Hier reiht sich das vorliegende Buch ein. Es kann wohl auch deshalb bereits als publizistischer Erfolg gelten. So wurde es nicht nur von The Economist zu den besten Büchern des Jahres 2022 gezählt.1 Es erhielt auch sehr ausführliche und positive Besprechungen in der (liberal orientierten) Presse, so etwa von Gerhard Wegner in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung („bislang gründlichste und ambitionierteste Biographie“), von Karen Horn in der Neuen Zürcher Zeitung („Meisterwerk“) oder von Theo Anders im Standard („exzellent recherchierte neue Biografie“).2

Daneben sind im vergangenen Jahr weitere einschlägige Titel erschienen, u.a. der letzte Band der – ebenfalls von einem der Biographen, Bruce J. Caldwell, verantworteten – gesammelten Werke Hayeks in englischer Sprache.3 Schließlich wurden von Caldwell die Transkripte des Gründungstreffens der Mont Pèlerin Society herausgegeben.4 Hier schließt sich gewissermaßen der Kreis, denn die Gründung ebenjener Mont Pèlerin Society nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht maßgeblich auf Hayek zurück, wie auch gegen Ende der Biographie ausführlich dargelegt wird.

Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle aber auch die teilweise sehr kritische Literatur zu Hayek, zu den von ihm vertretenen liberalen Prinzipien und gerade auch zur Mont Pèlerin Society.5 Daher konstatieren auch Caldwell und Klausinger, dass „Hayek […] was, is and will remain a controversial figure“ (S. 3). Sie haben sich gleichwohl dagegen entschieden, näher auf die kritische Literatur einzugehen (S. 8). Dies ist nachvollziehbar. Zugleich deutet es auf eine gewisse Nähe und Sympathie der beiden Autoren für Hayek hin. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass er im Buch (überwiegend) „Fritz“ genannt wird. Diesen Spitznamen hatte ihm seine Mutter Felicitas gegeben (S. 27).

Bemerkenswert ist weiter das Autorenpaar. Der US-Amerikaner Bruce J. Caldwell forscht als Professor an der Duke University und Direktor des dortigen Center for the History of Political Economy zur Geschichte der Ökonomie und gilt seit langem als Hayek-Experte. Hansjörg Klausinger stammt aus Hayeks Geburtsland Österreich. Er forscht an der Wirtschaftsuniversität Wien ebenfalls zur Geschichte der Ökonomie, speziell zur Österreichischen Schule. Beide Autoren haben bereits eigene Bücher über Hayek veröffentlicht, Caldwell sogar im Jahre 2003 ein erstes biographisches Werk.6 Klausinger dürfte dagegen gerade international weniger bekannt sein. In der Einleitung findet sich die wenig schmeichelhafte Erläuterung, Caldwell habe ihn ursprünglich als Ko-Autoren wegen seiner deutschen Sprachkenntnisse hinzugenommen (S. 2).

Bemerkenswert ist schließlich das ambitionierte Ziel von Caldwell und Klausinger. Sie nehmen in Anspruch, nichts weniger als „the definitive full biography of F. A. Hayek“ vorgelegt zu haben (S. 3). Tatsächlich ist das vorliegende Buch weit ausführlicher und detaillierter als die bisherigen Biographien. Zwar gibt es unzählige Bücher und Artikel über Hayek, aber nur wenige biographische Arbeiten im engeren Sinne. Zu erwähnen sind u.a. die Biographie von Ebenstein sowie das im Selbstverlag erschiene Buch von Charlotte E. Cubitt, der Sekretärin von Hayek in seinen letzten Lebensjahren. Auf Deutsch liegt zudem seit dem Jahr 2000 die Biographie von Hennecke vor.7

Das amerikanisch-österreichische Autorenpaar hat nach eigener Aussage über ein Jahrzehnt an der Biographie gearbeitet. Herausgekommen ist ein dicker „Schinken“ im besten Sinne, gespickt mit zahlreichen Zitaten aus Originalquellen, die Caldwell und Klausinger in diversen Archiven akribisch ausgewertet haben. Besonders oft zitieren sie aus Briefen von und an Hayek. Auch auf Interviews u.a. mit Hayeks beiden Kindern, Christiane und Larry, greifen sie zurück. Einige bislang private Fotos von Hayek sind ebenfalls abgedruckt. Dazu zählt u.a. das Cover-Foto, das „Fritz“ in durchaus ungewohnter Pose zeigt – mit Lederhose und Pfeife in freier Natur, vermutlich in den 1930er-Jahren in den von ihm geliebten Alpen.8 Der nun vorliegende Band von 840 Seiten Länge (einschließlich der diversen Verzeichnisse) deckt dabei nur die ersten gut fünfzig Jahre von Hayeks Leben ab. Die Darstellung endet mit dessen Wechsel an die University of Chicago im Jahre 1950. Auf den angekündigten zweiten Band darf man zweifellos gespannt sein.

Caldwell und Klausinger haben ihre hohen selbst gesteckten Ziele erreicht. Insbesondere werden sie ihrem Anspruch einer möglichst umfassenden Darstellung von Hayeks Leben und Werk gerecht. So formulieren sie selbst in der Einleitung: „Our book seeks to situate Hayek in place and time and to integrate his life and work, with ‘work’ including his intellectual contributions, his organization-building, and his efforts to reach a wider public as a defender of liberal ideas” (S. 3). Ein gutes Beispiel für diese umfassendes Verständnis von „work“ stellt die ausführliche Behandlung der bereits erwähnten Gründung der Mont Pèlerin Society dar. Hayek wollte damit insbesondere den internationalen Austausch unter Liberalen fördern. Die Autoren gehen ebenso auf die jahrelangen Bemühungen Hayeks um die Beschaffung der nötigen Finanzmittel wie auf die Auswahl der Teilnehmenden und die inhaltliche Gestaltung der Tagung ein. Besonderen Wert legen sie zudem darauf, dass es Hayek gelang, eine offene Diskussionskultur zu schaffen und allzu scharfe Konfrontationen zwischen den teilnehmenden Persönlichkeiten zu vermeiden. Insgesamt sehen Caldwell und Klausinger in der Gründung der Society „one of his most significant contributions to the cause of liberalism in coming decades” (S. 643).

Darüber hinaus zeichnet sich das Buch durch eine sorgfältige Auswertung der Originalquellen aus, die insgesamt überzeugt. Dazu trägt bei, dass auch Lücken und Widersprüche in den Quellen nicht verschwiegen werden. Auch die primär chronologische, aber zugleich themenbezogene Struktur des Buchs ist gut gelungen. Kritisch anzumerken ist, dass es an manchen Stellen mit dem Streben nach umfassender Darstellung über das Ziel hinausschießt. Dies fällt etwa bei der Beschreibung des „Old Oast House“ auf, das Hayek mit Familie während der kriegsbedingten Auslagerung der London School of Economics nach Cambridge bewohnte. Ein anderes Beispiel ist die Beschreibung des Lebenswegs von Bertrand de Jouvenel, einem Teilnehmer am Gründungstreffen der Mont Pèlerin Society im Jahre 1947. Keinem der anderen teilnehmenden Männer und der einen (!) Frau, der englischen Historikerin Cecily Veronica Wedgwood, widmen die Autoren auch nur annähernd so viel Raum. In noch stärkerem Maße betrifft dies die Behandlung von Hayeks Scheidung im Jahre 1950, der sich Caldwell und Klausinger erklärtermaßen „in intricate detail“ widmen (S. 9). Sie stellt den Schlusspunkt im Drama von Hayeks Ehe mit Helena („Hella“) von Fritsch dar. Hayek hatte sie geheiratet, nachdem seine große Liebe Helene („Lenerl“) Bitterlich ihrerseits einen anderen Mann, Hans Warhanek, geheiratet hatte. Bereits nach wenigen Ehejahren planten Hayek und „Lenerl“ jedoch nach Einschätzung der Biographen eine gemeinsame Zukunft. Letztendlich begann diese erst im Jahre 1950 nach Hayeks Wechsel an die University of Chicago. Nur in den USA konnte Hayek nämlich ohne Einwilligung von „Hella“ die Scheidung erwirken, und nur dort bekam er ein ausreichend hohes Gehalt, um ihren finanziellen Forderungen nachzukommen. Dies alles wird in übermäßiger Ausführlichkeit geschildert, einschließlich mancher juristischen und finanziellen Feinheiten.

Festzuhalten bleibt abschließend, dass das vorliegende Buch auch wegen seiner Detailtiefe als Einführung in das Leben und Werk Hayeks nicht geeignet ist. Dafür ist es allerdings auch nicht gedacht. Umso interessanter ist es für Lesende, die bereits mit den Grundzügen des Hayekschen Werks vertraut sind und ihre Kenntnisse insbesondere über die Lebensumstände von Hayek vertiefen wollen.

Anmerkungen:
1 Vgl.: https://www.economist.com/culture/2022/12/06/these-are-the-economists-best-books-of-2022.
2 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsbuecher-hayeks-weg-zum-liberalismus-18704728.html; https://www.nzz.ch/feuilleton/hayek-ganz-privat-eine-neue-biografie-ueber-den-grossen-liberalen-ld.1731876; https://www.derstandard.at/story/2000141757997/friedrich-august-von-hayek-ein-leben-fuer-den-freien-markt.
3 F.A. Hayek, Essays on Liberalism and the Economy. Ed. by Paul Lewis, Vol. 18 of The Collected Works of F. A. Hayek, Chicago 2022.
4 Bruce J .Caldwell (Hrsg.), Mont Pèlerin 1947: Transcripts of the Founding Meeting of the Mont Pelerin Society, Stanford 2022.
5 Vgl. u.a. Karl-Heinz Brodbeck, Preise, Markt und Ideologie: Zur Kritik von Hayeks Theorie des Wissens, Marburg 2021; Walter Otto Ötsch, Mythos Markt. Mythos Neoklassik. Das Elend des Marktfundamentalismus, Marburg 2019; Philip Mirowski, Dieter Plehwe (Hrsg.), The Road From Mont Pèlerin: The Making of the Neoliberal Thought Collective, Cambridge 2009.
6 Bruce J. Caldwell, Hayek’s Challenge. An Intellectual Biography of F.A. Hayek, Chicago 2003; Hansjörg Klausinger, Friedrich A. von Hayek, 2. überarb. Aufl., Konstanz 2020.
7 Alan O. Ebenstein, Friedrich Hayek: A Biography, Chicago 2003; Charlotte E. Cubitt, A Life Of Friedrich August Von Hayek, London 2006; Hans Jörg Hennecke, Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit, Stuttgart 2000.
8 Das Bild ist auch im Fotografien-Teil des Buchs enthalten, als Bildtafel („plate“) 13 auf S. 279; leider ohne nähere Angaben zu Ort, Datum und Anlass der Aufnahme und lediglich untertitelt mit „Fritz in Lederhosen“.

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